2. Interview

 

„Herr Professor Kenroth, in unserem letzten Gespräch gaben Sie an, Sie seien auf `irgendjemanden´ oder `irgendetwas´ gestoßen, das ein Buch nach dem anderen dieser Bibliothek hinzufügt. Erklären Sie uns das doch bitte genauer.“
„Ja, gut, ähem. Lassen Sie mich mal kurz überlegen. Ich muss den Faden wiederfinden.“

Es entsteht eine längere Pause, in der ich mir ein hinter ihm hängendes Bild ansehe. Er zeigt ihn in einem dunkelblauen Sakko, unter dem er ein blau-weiß kariertes Hemd trägt. An der Wand im Hintergrund ein Bild des berühmten Kinderbuchautors Janosch, mit Tigerente und Frosch.

„Schönes Bild, was?“
„Oh, ja, es hat mich gerade... .“
„Nun, mein Lieber, ich benutzte diese Begriffe...“
„Irgendetwas und irgendjemand...“
„... weil ich mir nicht sicher bin, womit ich es zu tun habe. Ich deutete schon an, dass es sich um eine KI handeln könnte, wenn Sie verstehen.“
„Entschuldigen Sie bitte, aber...“

Der Professor verdreht die Augen.

„... Professor Doktor Kenroth, bitte, ja?!“
„Herr Professor Doktor Kenroth, aber was genau ist eine KI? Eine künstliche Intelligenz, klar, aber was genau verbirgt sich dahinter?“
„Nun, da muss ich wohl etwas weiter ausholen. Wir unterscheiden zwischen schwacher und starker KI. Die schwache KI lassen wir einmal außen vor, da sie nur dem Menschen zur Unterstützung dient. Die starke KI dagegen übernimmt Aufgaben, die der Mensch üblicherweise ausführt. Hierzu ist also ein gewisses Maß an Intelligenz notwendig. Wir befinden uns damit auf dem Gebiet des `Bewusstseins´, innerhalb dessen die KI philosophische Schlussfolgerungen eigenständig entwickeln kann.“
„Das klingt ja sehr spannend.“

Der Professor lacht.

„Ja, mein Lieber, das ist es allemal! Erst recht, wenn Sie bedenken, dass eine solche KI vielleicht eigene Texte und Bücher generiert. Da ist der Schritt dann auch zum AL, zum Artificial Life, dem künstlichen Leben, nicht mehr weit.“
„Gibt es das nicht bereits?“
„Ja, ähem, dazu könnte ich jetzt einiges an Horror erzählen. Doch, ich möchte Sie nicht verschrecken.“
„Aber, Herr Professor Doktor Kenroth, Sie wissen doch, mich kann nichts erschrecken.“

Der Professor zögert einen Moment, in dem er mich eingehend  mustert.

„Mein Lieber, wie wäre es, wenn ich behauptete, Sie seien eine AL?“
„Ich?! Gott bewahre, nein, ich doch nicht!“
„So? Dann können Sie es mir wohl beweisen?“
„Ja, nun, doch: Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut.“
„Das behaupten Sie! Beweisen Sie es.“
„Dass ich ein Mensch aus Fleisch und Blut bin?“
„Ja.“
„Welchen Beweis wollen Sie?“
„Ganz einfach!“

Der Professor zieht eine Lade des Schreibtisches auf und kramt darin herum.

„Diesen zum Beispiel.“

„Nein! Das ist nicht Ihr Ernst! Sie meinen, ich soll...?“
„Ja, tun Sie es nur. Sie wollen mir beweisen, dass Sie ein Mensch und keine AL sind, also tun sie es.“

Ich zögere. Ist er verrückt geworden? Er will allen Ernstes diesen Beweis?

„Könnte ich es nicht anders beweisen?“
„Ja, mein Lieber. Wie wollen Sie es denn gern?“
„Nun, ich könnte spontan einen Text schreiben.“

Mitleidig grinsend schüttelt er den Kopf.

„Sie haben mir nicht zugehört: ich sagte, eine AL ist eben dazu auch in der Lage.“

Er hatte recht. Wie kam ich da nun wieder raus?!

„Nun, gut, Herr Professor Doktor Kenroth. Ich muss weiter. Ich überlege mir bis zum nächsten Mal, wie ich es Ihnen beweisen kann, ja?“
„Gut, so machen wir es. Es ist Ihre Entscheidung. Wenn Sie weiterhin Interviews mit mir führen wollen, warte ich auf Ihren Beweis.“

Ich brauche nicht anzuführen, dass ich enorm erleichtert bin, als ich sein Büro verlasse. Draußen hole ich erst einmal tief Luft.
War meine Interviewreihe mit einem der berühmtesten Professoren der Welt jetzt beendet?
Das konnte, nein, durfte nicht sein!


Ich überlege ganze zwei Wochen, wie ich den Beweis, ich sei kein Artificial Life, erbringe. Nach einigen Tagen, mitten in der Nacht, finde ich eine Lösung.
Ich schnappe mir den Laptop, öffne das E-Mail-Programm und schicke ihm die Kopie meiner Geburtsurkunde. Fertig. Ein Dokument, ausgestellt von einer öffentlichen Behörde! Das ist der Beweis!
Wenige Minuten später erhalte ich seine Antwort. Nicht ungewöhnlich, er arbeitet oft bis in den Morgen hinein.

„Ihr Ernst?!“

Gut, er akzeptiert sie nicht. Da helfen auch alle Beweise und Nachweise der ausstellenden Behörde nichts, er nimmt es nicht an.

„Außerordentlich leicht fälschbar. Und woher wollen Sie wissen, dass man es Ihnen nicht untergejubelt hat, um den Anschein zu erwecken, Sie seien ein Mensch?“

Er hat recht. Ich wusste es nicht. Ich schicke ihm eine Bestätigung meiner Mutter. Seine Antwort: „Ihr Ernst?“
Gleich, was ich ihm schickte, er lehnte alles ab. Mir bleibt also nichts, als ihn aufzusuchen und den von ihm geforderten Beweis anzutreten.